„…vitrea, certe non olunt.“ (Petr. Sat. 50, 7)
Neu: Antike Gläser der Sammlung Morell
„Ich persönlich ziehe mir Glas vor, jedenfalls riecht es nicht. Wäre es nicht so zerbrechlich, würde ich es sogar dem Gold vorziehen; jetzt freilich ist Glas billig.“
Mit seiner Beschreibung der Vorzüge von Gefäßen aus Glas gegenüber solchen aus korinthischer Bronze erinnert der Gastgeber der ‚Cena Trimalchionis‘ in Petrons Satiricon unwillkürlich an den berühmten Ausspruch des Kaisers Vespasian: „pecunia non olet“ – „Geld stinkt nicht!“. Mit diesen Worten soll der erste Flavier laut der Biographie von Sueton (Vesp. 23) seine neu eingeführte Latrinensteuer verteidigt haben. In diesem Sinne pflichtet die Antikensammlung dem Zitat des Trimalchio bei und freut sich, ihren Besucher:innen nun eine erkleckliche Zahl an attraktiven Neuzugängen präsentieren zu können.
Am 28. Februar wurde die neue Sektion antiker Gläser im sog. Marmorsaal der Antikensammlung eröffnet (Abb. 1). Im Rahmen einer Presseeinladung überreichte der Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt, Sebastian Remelé, in seiner Funktion als Vorsitzender der Dr. Otto Schäfer-Stiftung die Gläser der Sammlung Morell symbolisch als Dauerleihgaben an das Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Die Gläser befanden sich zuvor im Museum Otto Schäfer in Schweinfurt und bedurften seit 2021 dringend einer neuen Heimstatt, wie Jan Soldin, der neue Leiter des Museums zu diesem Anlass noch einmal bekräftigt hat.
Der Schweinfurter Großunternehmer Otto Schäfer (1912 – 2000) war ein leidenschaftlicher Sammler von Druckgraphiken und illustrierten Büchern. 1991 konnte seine reiche Sammlung erstmals in einem eigenen Museumsbau der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Aufnahme antiker Gläser aus der Sammlung des Juristen Dr. Hermann Morell (1929 – 1987), Vorstandsmitglied der FAG Unternehmensgruppe, und Maria Morell (1923 – 1998) nach deren Ableben war eine Geste der Verbundenheit Schäfers gegenüber dem mit ihm befreundeten Ehepaar. Doch im Grunde hat sich diese schöne Sammlung thematisch nie in die Bestände des Museums eingefügt, wie Remelé in seiner Rede nochmals betont hat. Daher lag es für die Stiftung nahe, sich nach einem geeigneteren Ausstellungsort für die Sammlung umzuschauen, ein Schritt, von dem die Universität Würzburg nun sehr erfreulich profitiert.
Zerbrechlicher Glanz in neuem Licht
Von den rund 200 Gläsern der Sammlung Morell sind aktuell etwa drei Viertel in die Dauerausstellung der Würzburger Antikensammlung integriert, begleitet von Erläuterungstafeln zur Kulturgeschichte und Herstellungspraxis des Werkstoffes Glas.
In vier Vitrinen mit jeweils drei Registern kommen die Gläser besonders schön zur Geltung. Denn während sich die älteren Vitrinen im ‚Marmorsaal‘, die römische Glasgefäße, aber vor allem Fragmente sog. Mosaikgläser enthalten, mit Tageslicht begnügen müssen, kann sich die neue Ausstellungssektion die jüngst im Steinplattenboden verlegten Stromleitungen zunutze machen. Der Effekt ist so eklatant wie der Kontrast. Glas braucht Licht, um seine besonderen Reize zu offenbaren: Reflexe, Farbenspiel und Transparenz.
Die ersten beiden Vitrinen präsentierten in erster Linie das bevorzugte Einsatzgebiet des ‚neuen‘ Werkstoffes: Tafelgeschirr aus Glas. Schalen, Teller und Trinkbecher, aber auch Servierutensilien wie Kannen und Flaschen zeugen von den neumodischen Tischutensilien, die Trimalchio so bewundert. Dank der chronologischen Präsentation lässt sich die Entwicklung der Formenvielfalt nachvollziehen: Zunächst orientierten sich die Gläser auffällig an Vorbildern aus Edelmetall, Edelstein und Feinkeramik, dann entdeckten die Glasmacher mehr und mehr die weitgefächerten Gestaltungsmöglichkeiten der Glasbläserei und fanden zu immer originelleren Dekorformen (Abb. 2). In der Spätantike war die Technologie besonders ausgereift, wie sich etwa an den Fragmenten mit eingeschliffenen Figuren oder den sog. Zwischengoldgläsern (Abb. 3) beobachten lässt.
Hygienisches Verpackungsmaterial für Kostbarkeiten
Auf dem gegen den Uhrzeigersinn verlaufenden Parcours präsentiert die nächste Vitrine Salbfläschchen aus 9 Jahrhunderten. Einen starken visuellen Reiz üben die frühen Alabastra und Amphoriskoi (Abb. 4) aus dunkelblauem opakem Glas mit gelben und weißen Zickzackmustern aus. Sie deuten hinsichtlich ihrer Provenienz auf die Lagerstätten von besonders reinen Silikaten in der Levante, die diese Region nachhaltig zu einem bedeutenden Produktionsstandort von Rohglas, aber auch von Fertigprodukten machten.
Vor der Erfindung der Glaspfeife um ca. 50 v. Chr. war die Herstellung von gläsernen Hohlkörpern mit hohem Aufwand verbunden. Die im Ofen erhitzte Glasmasse musste in Fäden um einen vorgeformten Kern aus erhärtetem Sand gespult werden, um so eine kontinuierliche Oberfläche zu erzeugen. Andersfarbige Glasschmelze wurde zusätzlich aufgetragen und mit einem spitzen Gegenstand ornamental mit der noch weichen Grundmasse verquirlt. Der Sandkern konnte schließlich nach der Aushärtung des Glases mit einem Stichel beseitigt werden.
Die mit der Glaspfeife hergestellten Balsamarien der römischen Kaiserzeit sind dagegen sehr viel dünnwandiger und damit tendenziell auch mehr oder minder transparent, so dass ihr kostbarer Inhalt zum Vorschein kommt. Aber die Glasmacher setzten die Glaspfeife auch gerne in Kombination mit Merbelplatten und Errungenschaften der Glastöpferei (Formschüsseln, -kegel und Schablonen) ein, so dass sich scharfe Kanten, Profile und sogar Reliefdekore erzeugen ließen. Ein besonders schönes Fläschchen aus opakem, weißem Glas (Abb. 5) repräsentiert eine aus Sidon bzw. dem Osten der Mittelmeerregion stammende Werkgruppe von Sonderformen. Es zeigt einen sakral konnotierten Fries mit verschiedenen Gefäßformen in architektonischer Rahmung.
In Vitrine vier werden einerseits Gläser präsentiert, die bevorzugt für Grabkontexte hergestellt wurden: Unguentarien für Wohlgeruch, Flakons für Parfum und Salben, aber auch die Aschenbehältnisse selbst konnten aus Glas gefertigt sein. Andererseits führt sie den zunehmend erweiterten Anwendungsbereich von Glas in der Antike vor Augen: Kosmetik, Textilverarbeitung, Leuchtmittel, aber auch Schmuck jedweder Art und Spielzeug. Stets erweisen sich dabei dieselben Qualitäten des Glases als ausschlaggebend, die Vielfalt an glänzenden Farben und die geschmeidige Eleganz, die Glasobjekte zu begehrenswerten Habseligkeiten machte. Besonders ins Auge fallen die länglichen Kohel-Röhrengefäße, die wie zwillingshafte Reagenzgläser mit Haltebügel aussehen und einst als mobile Behältnisse von Augen-Make-Up dienten (Abb. 6).
Neue Objekte – neue Sitten – Neukonzeption
Für unser Museum stehen die ‚Schweinfurter Gläser‘ in jeder Hinsicht für Innovation. So bereichern sie vor allem die Minderzahl römischer Bestände der Dauerausstellung und ergänzen damit auf das Vortrefflichste den Sammlungsschwerpunkt des griechischen (und etruskischen) Tafelgeschirrs in Form von figürlich bemalter Keramik aus dem Gebiet der Ägäis, der Magna Graecia und Mittelitalien.
Die eingangs zitierte Tischrede des Trimalchio wirft auch ein bezeichnendes Schlaglicht auf historische Veränderungen beim antiken Symposion. Seine Gäste rekrutieren sich vor allem aus gesellschaftlichen Aufsteigern der römischen Gesellschaft, über die sich der aristokratische Autor Petronius und seine Leser:innen lustig machen. Mit der Neuordnung des römischen Staates unter Augustus waren nicht nur die Voraussetzungen für einen großen ökonomischen Aufschwung, sondern auch vielfältige Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs geschaffen. Ehemalige Sklaven konnten es durch Geschäftstüchtigkeit zu großen Vermögen bringen und sogar niedere öffentliche Ämter bekleiden. Gläser stehen geradezu symbolisch für dieses neue Zeitalter der römischen Mittelschicht, bilden sie doch ein effekthascherisches Luxusgut, das in der Regel zu erschwinglichen Preisen zu haben war.
Mit der Ausstellung der Sammlung Morell, die wir vereinzelt um Gläser aus den bereits vorhandenen Beständen ergänzt haben – so z. B. aus der Sammlung Ludwig Brüls, eines deutsch-niederländischen Malers, der mit Martin von Wagner befreundet war –, verwirklichen wir erstmals unsere Ansätze zu einer Neukonzeption der Dauerausstellung. So sollen in den kommenden Jahren die Narrative der Kulturgeschichte, aber insbesondere auch der Bildsprache gegenüber der herkömmlichen kunsthistorischen Gliederung mehr in den Vordergrund rücken. Die ‚Schweinfurter Gläser‘ geben hier einen willkommenen Anstoß, uns von der Idee einer rein akademischen Lehrsammlung zu verabschieden und die Antike für das Laienpublikum anschaulicher zu machen.
Abb. 1: A. Mischke, Abb. 2, 4 und 5: C. Kiefer, Abb. 3 und 6: P. Neckermann
Comments