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Willkommen Tiepolo! – zwei sensationelle Neuzugänge


„Kunst von Weltrang“: klingt hochgegriffen, trifft aber den Kern, wenn es sich um Werke Giambattista Tiepolos handelt. Dem venezianischen Jahrhundertkünstler lassen sich zwei Werke zuschreiben, um die unser Museum seit kurzem reicher ist. Bisher besaßen wir, eben einer Reihe von Zeichnungen, drei Gemälde Tiepolos.

 

Die Bilder, die sich zuvor in kalifornischem Privatbesitz befunden hatten, konnten mit finanzieller Rückendeckung durch den Würzburger Unternehmer Joachim Kuhn ersteigert werden. Über den Kaufpreis wird Stillschweigen gewahrt; bedenkt man, dass schon einzelne Tiepolo-Zeichnungen inzwischen mit über fünfzigtausend Euro gehandelt werden, lässt sich der Wert der beiden Gemälde erahnen.

 

Die Bilder – sie sind rund 50 cm breit und 40 cm hoch – stehen in einer noch zu klärenden Beziehung zu einer prominenten Ausmalung im Venedig des 18. Jahrhunderts: Zwischen 1739 und 1740 lieferte Tiepolo insgesamt neun Kompartimente für die Decke des Kapitelsaals der Scuola Grande dei Carmini, einer karitativen Stiftung mit Nähe zum Karmelitenorden.

 

Die Eckfelder, geschaffen 1743/44, zeigen jeweils zwei bis drei Tugend-Personifikationen, die Tiepolo selbst auswählen durfte, schließlich galt er als „der berühmteste aller virtuosen Maler“, wie es bei der Verpflichtung durch die Scuola über ihn heißt. Die Motive von zweien dieser ungewöhnlichen Formate kehren in den frisch erworbenen Gemälden wieder. Sind es also Kopien oder dienten sie der Werkvorbereitung?


Sie gehören zu den wichtigsten Neuzugängen seit Jahrzehnten: Tugend-Allegorien von Giambattista Tiepolo, ersteigert für das Martin von Wagner Museum.


Die Dynamik und die Sicherheit der Pinselzüge, die Komplexität von Farbgestaltung und Licht-Schatten-Verteilung, die einzigartige Himmels- und Wolkenbehandlung, die zeichnerische Matrix von Komposition und Binnenformen, schließlich auch eine ganze Reihe figürlicher und gegenständlicher Motive sprechen für die Eigenhändigkeit; eine Nachschöpfung von fremder Hand erscheint dagegen wenig wahrscheinlich.

 

Die Eckfelder an der Decke der Scuola messen rund 240 cm im Durchmesser und sind damit fast fünfmal so groß wie die handlichen Formate der nun in Würzburg befindlichen Gemälde. Damit sind wohl gewisse Vereinfachungen zu erklären; in seinen Ölskizzen arbeitet Tiepolo die einzelnen Motive nie so detailliert aus wie im endgültigen Werk.

 

Dies könnte als weiteres Argument pro Tiepolo zu werten sein: Hätte sich ein anderer Maler an der Nachahmung dieser Kompositionen versucht, wären auch die Einzelheiten übernommen worden. Der lapidare Wurf aber, der die beiden Gemälde auszeichnet, ist typisch für die Vorgehensweise Tiepolos.

 

Ob es sich um Ölskizzen als Teil des Werkprozesses handelt oder um ‚Nachbilder‘ in verkleinertem Format, wie sie Tiepolo auf privaten Wunsch hin gelegentlich angefertigt hat, muss noch herausgefunden werden. Kopfzerbrechen bereitet freilich auch die Ikonographie: Wen oder was stellen diese Frauen dar?

 

In einem der beiden Gemälde sind die Figuren eindeutig als Verkörperungen der Kardinaltugenden Gerechtigkeit und Starkmut bestimmbar, in dem anderen fällt eine klare Zuordnung nicht so leicht. Beim Vorbild in der Scuola ist sich die Forschung bei der Benennung des Bildpersonals nicht einig. Die Freiheit, die dem Künstler zugestanden wurde, macht die Identifizierung dieser Gestalten nicht gerade einfacher.

 

Für Personifikationen der Geduld und der Unschuld, die in den eng aneinander geschmiegten Frauen des Vordergrunds gesehen wurden, fehlen die Anhaltspunkte. Dass eine ‚Unschuld‘ sich genießerisch räkelt, noch dazu mit entblößtem Oberkörper und lasziv gesenktem Blick, ist undenkbar. Wahrscheinlich kann die junge Frau aufgrund des Lammes an ihrer Seite als „Mansuetudo“ (Sanftmut) bestimmt werden.

 

Ihre dunkelhäutige, zum Himmel aufblickende Gefährtin könnte die Reue verkörpern, die hinter ihnen stehende Rückenfigur die Keuschheit, zu der gemäß traditioneller Ikonographie auch eine Geißel oder Rute gehören kann. Genau dieses Attribut ist bei Tiepolo in die Hände des fliegenden Putto gewandert, der sich gleich auf die allzu attraktive Sanftmut stürzen wird. Solche witzigen Interpretationen sind bei Tiepolo keine Seltenheit. Er spielt er mit den Erwartungen des Publikums, die er regelmäßig unterläuft – er irritiert, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen.

 

Derzeit werden die ungerahmt erworbenen Bilder mit passenden Rahmen versehen. Am 10. Dezember werden sie bei der Winckelmannfeier des Museums erstmals präsentiert. Kurz nach Tiepolos Geburtstag am 5. März wird es außerdem eine öffentliche Führung zu den beiden Neuzugängen geben.



Was dieser kleine Jesus wohl im Schilde führt? Die Antwort bleibt den Besucherinnen und Besuchern der Gemäldegalerie überlassen.

Demgegenüber kann ein weiterer Neuzugang ab sofort in Augenschein genommen werden: ein Gemälde, das uns Familie Reith aus dem hessischen Fernwald als Leihgabe überlassen hat. Die hinreißende Leinwand ist ebenfalls im Venedig des 18. Jahrhunderts entstanden, doch für eine sichere Zuschreibung ist es noch zu früh. Immerhin kommen auch hier zwei der größten Namen als Urheber in Betracht: Giambattista Piazzetta oder erneut Giambattista Tiepolo.

 

Das Gemälde, dessen bemalte Fläche ein elegantes Oval bildet, zeigt den Heiligen Joseph, der verzückt zum Himmel aufschaut und auf dem Arm den Jesusknaben hält. Der kleine Gottessohn schaut auf die Betrachtenden mit einem Lächeln herab, das hintergründig, wenn nicht sogar ein wenig schlitzohrig wirkt. Aus dem Gegensatz zwischen der seelischen Gefangennahme des Ziehvaters und der Gewitztheit des Kindes geht der besondere Reiz des Bildes hervor.

 

Die Komposition taucht in der venezianischen Malerei um 1720 mehrfach auf, die Zuschreibung wechselt in der Forschung zwischen den beiden genannten Meistern hin und her. Der fünfzehn Jahre ältere Piazzetta ist für seine tonale Helldunkel-Malerei bekannt, die hier den Seheindruck bestimmt; in diesem Stil arbeitet freilich auch Tiepolo am Anfang seiner Karriere, sodass die Händescheidung problematisch ist.

 

Auf jeden Fall befestigt dieser Neuankömmling – wie auch die beiden ersteigerten Gemälde – die Stellung des Martin von Wagner Museums als Würzburger Außenposten des venezianischen Settecento!



Fotos: Raphael Bücken / Institut für Kunstgeschichte der Universität Würzburg




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