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Integration – nicht nur funktional, sondern auch kulturell


Seit kurzem besuchen Integrationskurse für Zugewanderte das Martin von Wagner Museum. In Dialog-Führungen lernen sie Grundlagen der westlichen Bildkultur kennen – und die Museumsleitung eine für sie bisher ungewohnte Zielgruppe. Die Neugier auf beiden Seiten ist groß.

 

Warum werden in der Barockmalerei Geschichten aus der griechischen Mythologie dargestellt, wenn die Epoche doch längst christlich war? Warum bezahlt in einem niederländischen Genrebild ein Mann – war Einkaufen denn nicht immer schon Frauensache? Solche und ähnliche Fragen werden gestellt, wenn außereuropäische Augen auf westeuropäische Gemälde treffen.

 


Um diese Erfahrung reicher ist jetzt unser Museum. Zusammen mit der Stadt Würzburg wurde kürzlich ein Programm initiiert, das Integrationssprachkurse von VHS und Kolping Mainfranken ins Museum führt – bisher in die Gemäldegalerie, die Einbeziehung der Antikensammlung ist geplant.


Die Besuche gehen von einem bestimmten Rahmenthema aus, zu dem dann eine Handvoll Gemälde gemeinsam betrachtet und befragt wird. Den Anfang machte „Essen und Trinken“, aber auch „Zeit“, „Familie“, „Körper“ und andere inhaltliche Schwerpunkte werden in Zukunft erkundet. Solche thematischen Zugänge, die jeder und jedem unabhängig von Herkunft oder Religion gemeinsam sind, erleichtern den Einstieg in die oft fremden Bildwelten.

 

Davon, dass sie auch die Integration fördern, sind wir überzeugt. Sich in einer neuen Umgebung einzuleben heißt ja nicht nur, deren praktische Funktionen kennenzulernen, sondern auch, ein Gespür für die ästhetischen Begriffe und ihre historischen Dimensionen zu entwickeln. In Westeuropa haben sich diese Begriffe in immer neuen Bildern verdichtet: Wo, wenn nicht bei uns, können Zugewanderte ein Gefühl dafür entwickeln, was es mit der Kultur ihres Gastlandes auf sich hat?

 

Die Bildungskoordinatorin für Zugewanderte bei der Stadt Würzburg, Zeynep Sen, ist derselben Auffassung: „Die interkulturelle Öffnung von Museen hat ein klares Ziel: Wer Interesse an der Geschichte und Kultur seines Wohnortes, an seiner Region und an Deutschland hat, kann sich damit natürlich auch viel eher identifizieren.“ Sen organisiert die soeben angelaufene Kooperation mit dem Martin von Wagner Museum.

 

Über die Kunstwerke kommen Deutschlernende aus Ländern wie der Ukraine, dem Iran, Syrien, Afghanistan, Aserbaidschan, Somalia, Äthiopien, Ghana, der Elfenbeinküste, Tansania, Haiti oder Venezuela mit der Museumsleitung ins Gespräch. In Gruppen von fünfzehn bis zwanzig Personen entdecken sie Gemeinsamkeiten mit, aber auch Unterschiede zu kulturellen Grundlagen, die sie aus ihren Herkunftsländern gewohnt waren.

 

Bei den ersten Terminen haben wir eine Menge Neugier auf die oft ungewohnten Bildwelten verspürt. Aber auch für uns ist der Kontakt mit diesen unverbildeten Blicken voller wertvoller Begegnungen, denn diese Menschen nehmen in den Bildern oft ganz andere Dinge wahr als wir.

 

Mit unseren neuen Gästen nehmen wir vor allem zwei zentrale Merkmale der (west)europäischen Kunst in den Blick : Zum einen gehört es zu deren Matrix, dass sie seit ihren Anfängen in permanenter Veränderung begriffen ist; zum anderen begnügte sie sich nicht damit, ein bloßer Spiegel der Welt zu sein, sondern eröffnet auch ganz eigene Zugangsweisen zur Welt.

 

Beides ist in dieser Konstellation nur in wenigen anderen Weltgegenden zu finden. Weil dies aber seit jeher Teil der kulturellen Dynamik Europas ist, sehen wir in der Vermittlung an diejenigen, die hierzulande Heimat suchen, ein lohnendes Unterfangen. Immerhin lassen sich im Martin von Wagner Museum dafür Bestände aktivieren, die 5000 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte repräsentieren.

 

Auf ganz unerwartete Weise ist jetzt die Welt bei uns zu Gast. Wenn das Museum einen kleinen Beitrag dazu leistet, dass aus diesen Gästen einmal Bürgerinnen und Bürger werden, dann kommt es damit einmal mehr dem Motto des Universität Würzburg nach, „Wissenschaft für die Gesellschaft“ zu treiben.




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