top of page

Zu Gast im Martin von Wagner Museum: Johanna Fassl


Zum ersten Mal beherbergt das Martin von Wagner Museum eine Gastwissenschaftlerin: Professor Johanna Fassl von der Franklin University vertieft bei uns ihre Tiepolo-Studien – für ein Buch und für zwei Ausstellungen.


Prof. Johanna Fassl beim Würzburger Symposium „G. B. Tiepolo | Illusion und Irritation“ im vergangenen Jahr.


Zu den klassischen Säulen der Museumsarbeit gehört – neben Sammeln, Bewahren, Vermitteln und Ausstellen – auch das Forschen. Als Universitätsmuseum sehen wir unseren Auftrag besonders auf diesem wissenschaftlichen Tätigkeitsfeld. Mitte Februar erst wurde die neugegründete „Wellhöfer-Stiftung für das forschende Museum“ bei uns angesiedelt; Anfang März konnten wir eine Gastwissenschaftlerin begrüßen, die ihren Arbeitsplatz für drei Monate von Lugano und Venedig in unsere Graphische Sammlung verlegt.


Fassl ist Professor of Art History and Visual Communication an der Franklin University, einer amerikanischen Hochschule im schweizerischen Lugano. Nach ihrem Studium in Kanada und den USA, das sie mit der Promotion an der Columbia University abgeschlossen hat, hat sie für diese New Yorker Universität das Studienzentrum „Casa Muraro“ in Venedig aufgebaut und bis 2015 geleitet. 2016 war sie eine der Gründerinnen des Stipendienprogramms „Scholarships Without Borders“, das Geflüchteten ein Studium an der Franklin University ermöglicht.


In ihren Forschungen analysiert die vielfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnete Fassl die Produktion und Rezeption von Kunst aus einer interdisziplinären Perspektive, die Philosophie und Wahrnehmungspsychologie genauso umgreift wie die Naturwissenschaften. Dies gilt insbesondere für ihre Tiepolo-Studien; sie fragt danach, wie in den Werken des venezianischen Malers eine willkürliche Rhetorik der Abwesenheit mit Ideen der radikalen Aufklärung zusammenhängt. Einen Einblick in diese Forschungen hat sie schon beim Internationalen Tiepolo-Symposium gegeben, das im Mai 2022 am Martin von Wagner Museum stattgefunden hat. Ihre Kombination aus phänomenologischem Ansatz und Diskursforschung liegt ganz auf der Linie unserer Tiepolo-Ausstellung von 2020/21.


Levantiner überall: In Tiepolos Radierungsfolge „Scherzi di fantasia“ wimmelt es von orientalischen Gestalten.


Für ihren Aufenthalt in Würzburg (März bis Mai) hat sich Fassl ein anspruchsvolles Programm vorgenommen. Zum einen möchte sie hier ein Kapitel ihres nächsten Buches schreiben, das unter dem Titel „Astronomers, Philosophers, Visionaries: The Figure of the Levantine in Giambattista’s Art Considered in the Context of Enllightenment Science and Philosophy“ die häufige Figur des Orientalen in Tiepolos Schaffen untersucht. Sie kommt in Würzburg in exemplarischer Häufigkeit vor, in Form von Fresken, Ölgemälden, Zeichnungen und Druckgraphik.


Auch der Frage, warum Turbanträger selbst im Belehnungsfresko des Kaisersaals auftauchen, wird Johanna Fassl nachgehen.


Deshalb ist die Residenz für ihr Vorhaben der ideale Ort: mit Treppenhaus und Kaisersaal auf der einen Seite, mit unserer Gemäldegalerie und Graphischer Sammlung auf der anderen Seite. Auch das Staatsarchiv, wo Fassl sich neue Funde erhofft, ist im gleichen Schloss gelegen. Mit ihrem Buch möchte sie Tiepolos Bedeutung als Künstler des Wandels betonen, die in jüngster Zeit seine Wahrnehmung als Künstler des Ancien Régime zunehmend ablöst.


Es trifft sich, dass sich ihr Forschungsinteresse mit einem Ausstellungsprojekt überschneidet. Im Herbst 2024 wollen wir orientalische Motive aus 500 Jahren präsentieren, die meisten aus der Graphischen Sammlung unseres Museums. Die Ausstellung geht dem Bild der Levante zwischen Dokumentation und Projektion nach. Dazu können ihre Tiepolo-Forschungen einen substanziellen Beitrag leisten.


Hinzu kommt ein zweites Ausstellungsprojekt, das von dem genannten Tiepolo-Symposium 2022 seinen Ausgang nahm. Dort wurde einem fiktiven Porträt eines orientalischen Philosophen in unserer Gemäldegalerie ein ‚Zwilling‘ in Privatbesitz gegenübergestellt. Die Fachdiskussion vor den beiden Gemälden ergab, dass es sich beide Male um Werke Giambattista Tiepolos handeln dürfte, nicht um Original und Kopie. Dem Rätsel, das vom identischen Aussehen dieser Bilder aufgegeben wird, soll in der Ausstellung wenn nicht gelöst, so doch einem weiteren Kontext eingestellt werden, in dem auch wieder das Bild des Orientalen im ‚aufgeklärten‘ Europa des 18. Jahrhunderts eine Rolle spielen wird.


Wir heißen Johanna Fassl herzlich willkommen und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihr!



bottom of page